Hundert Kleider

Wanda geht in der Schule immer in demselben blauen Kleidchen — abgetragen und verblasst, obwohl sie, nach ihren eigenen Worten, zu Hause hundert schöne Kleider hat, "einen ganzen Schrank". Peggy und ihre Klassenkameradinnen glauben Wanda nicht und fangen an, sie... zu hänseln. Lina, Peggys beste Freundin, nimmt nicht an dem allgemeinen Spaß teil, sondern ist nur still anwesend. Doch innerlich quält sich Lina, weil sie nicht den Mut findet, Wanda offen zu verteidigen. Erst nach Wandas plötzlichem Weggang erfahren die Klassenkameraden die Wahrheit über die hundert Kleider, und Lina und Peggy verstehen klar, was Güte und Großzügigkeit der Seele bedeuten.Die berührende Erzählung von Eleanor Estes (1906–1988) wird seit 80 Jahren von Kindern in verschiedenen Ländern gelesen. Sie findet lebhaften Anklang in ihren Herzen, unter anderem weil sie auf wahren Begebenheiten aus der Kindheit der Autorin basiert. In der Klasse mit ihr gab es ein Mädchen, das wegen des einzigen Kleides und des ungewohnten polnischen Namens gehänselt wurde. In der kleinen Stadt West Haven, im Bundesstaat Connecticut, wo die zukünftige Schriftstellerin aufwuchs und wo die Handlung dieser Geschichte stattfindet, waren polnische Namen rar. Und dann zog das Mädchen plötzlich nach New York — das geschah mitten im Schuljahr, und Eleanor hatte nicht die Gelegenheit, sich bei ihr zu entschuldigen. Viele Jahre plagte sie ein anhaltendes Schuldgefühl. Denn sie wusste aus eigener Erfahrung, was Armut und Kälte im Haus bedeuten, und wie man die Kleidung der älteren Schwester weiterträgt. Aber ist Armut ein Grund, einen Menschen zu hänseln? Und darf man mit den Gefühlen derjenigen spielen, die anders sind als man selbst? Eleanor hörte nie auf, Antworten auf diese Fragen zu suchen, und eines Tages begriff sie, dass sie über alles, was passiert war, schreiben musste. So entstand die Erzählung "Hundert Kleider", die erstmals 1944 veröffentlicht wurde und bald das Ehrenzertifikat der Newbery-Preis erhielt.